Mein Blick auf Bewegung, Wahrnehmung und kognitive Entwicklung von Kindern

Durch das Bilden und Lösen von Verbindungen im Zentralnervensystem ( Gehirn und Rückenmark ) wird Lernen – emotional, körperlich und kognitiv – möglich.
Wenn wir etwas Neues lernen – z.B. Stehen, Gehen oder Rechnen, Lesen – werden neue Verbindungen zwischen bereits vorhandenen Nervenzellen gebildet.
Wenn wir etwas gut beherrschen, wenn wir z.B. eine Handlung automatisiert haben, können wir diese in den verschiedensten Situationen und auf verschiedene Weise ausführen. Nehmen Sie z.B. das Werfen eines Balles. Sie können im Stehen, im Liegen, im Wasser, auf einem Fahrrad etc. einen Ball werfen. Sie können ihn nach hinten, vorne, zur Seite werfen und dabei noch mit jemanden reden. Dies gilt auch für abstrakte Fähigkeiten, wie Lesen, Schreiben, Rechnen.
Wir sind erfolgreich, wenn wir Fähigkeiten, die wir erworben haben, in unterschiedlichen Situationen und auch in uns bisher unbekannten Situationen abrufen können. Wenn wir viel gelernt haben, können wir leichter eine Lösung für eine neues Problem finden, wir erleben uns als kompetent und unser Selbstbewusstsein wächst.
Kinder mit motorischen und/oder kognitiven Lernschwierigkeiten haben häufig keine große Auswahl an Lösungswegen zur Verfügung. Jede Veränderung beeinträchtigt ihre Handlungsfähigkeit und sie können Gelerntes nicht nutzen.

Die Leistung unseres Gehirns hängt auch von dem sensorischen Nervensystem ab. Dieses System ist für die Aufnahme und Verarbeitung von Sinneseindrücken zuständig. Durch unsere Sinne bekommen wir ein Bild von der Welt in der wir leben. Werden ungenaue Eindrücke an das Gehirn geleitet, wird die Antwort / Reaktion nicht angemessen sein. Die Fähigkeit adäquat – motorisch, emotional, kognitiv – in einer Situation zu reagieren, hängt also von einer ungestörten Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen aus meinem Umfeld ab.

Unsere Wahrnehmung wird davon beeinflusst, wie die gesamte Situation erlebt wird. Wenn es einem Kind schwer fällt sein Gleichgewicht zu halten und ruhig auf dem Stuhl zu sitzen, wird es möglicherweise dem Lehrer schlechter zu hören können, als ein Kind, das mit dem Gleichgewicht keine Schwierigkeiten hat. Buchstaben zu erkennen – z. B. b und d – ist für ein Kind leichter, wenn es eine gute Vorstellung von räumlichen Beziehungen – Mitte, rechts und links – hat.
„Von der Integration der sich entwickelnden motorischen und sensorischen Systeme wird die Entwicklung von kognitiven Funktionen beeinflusst ( Bushnell & Boudreau )“. „Studien haben gezeigt, das Bewegung die Bildung neuer Gehirnzellen fördert und die Verbindung zwischen den Gehirnzellen verbessert ( NeuroNation.com )“. Welchen Beitrag können Robben und Krabbeln für die Entwicklung des Zentral-Nervensystems leisten? Meiner Meinung nach einen großen. Denn eine gute Integration von motorischen und verschiedenen sensorischen Reizen bereits in den ersten Monaten ist die Voraussetzung, um diese Abläufe zu erlernen.

Visuelles System – Lesen

„Die motorisch Entwicklung fördert die Tiefenwahrnehumg im visuellen System ( Bushnell & Boudreau )“. Das räumliche Sehen ist abhängig von 3 Fähigkeiten.

  1. Verarbeitung von proprioceptiven Reizen ( Bewegung und Bewegungsempfinden)
  2. Verarbeitung von binokularen Reizen ( sensorische und motorische Aspekte des gemeinsamen Sehens von rechtem und linkem Auge )
  3. von bildhaften Informationen und deren Verarbeitung ( Bildwahrnehmung und verfügbare Vorerfahrung ).

Zu1) Das proprioceptive System steuert die Koordination von Kopf- und Augenbewegungen, welche die Voraussetzung für ein räumliches Sehen ist.
Zu2) Damit unser Gehirn übereinstimmende Bilder beider Augen bekommt ( binokulares Sehen ) ist eine gute motorische Koordination beider Augen ( okulomotorische Kontrolle ) Voraussetzung.
Zu3) Bildhafte Erfahrungen können bereits im 5.-7. Monat auftreten. Wenn das Kind Gegenstände betastet und dabei Form, Oberfläche, Konsistenz (hart, weich) wahrnimmt, könnten dies Informationen sein, die es benötigt um bildhafte Vorstellung zu entwickeln. Das befühlen von Objekten setzt wiederum eine Tastwahrnehmung und eine motorische Hand- und Fingergeschicklichkeit voraus.
Wenn ich die Form der Buchstaben erkenne und ihre Anordnung / Reihenfolge, ergibt sich daraus ein Begriff z.B. Hand und ich kann ihn Lesen.
Wenn die Identifikation eines visuellen Symbols „d“ auf einer haptischen ( Wahrnehmung von Objekten und Materialien durch den Tastsinn ) Erfahrung und den Kenntnissen von räumlichen Beziehungen beruht, kann eine Bewegungsstörung das kognitive Verständnis des Kindes für verschiedene Formen wie „d“ und „b“ beeinträchtigen.
Fischer`s Fritz fischt frische Fische ….. Diese Worte haben einen ähnlichen Klang, viele gleiche Buchstaben und eben auch kleine Unterschiede. Diese zu erkennen, macht den Unterschied zwischen richtig und falsch geschrieben.

Akustische Wahrnehmung – Sprache

„Wichtig ist die Erkenntnis, dass an der Verarbeitung von Sprache viele verschiedene Kortexareale ( verschiedene Regionen des Gehirns ) beteiligt sind, unter anderem auch Bereiche in denen visuelle oder somatosensorische Informationen ( Wahrnehmung der Bewegung und des Fühlens ) integriert werden ( Dronkers et al. )“. Folglich kann aus einer verzerrten Reizaufnahme von visuellen oder somatosensorischen Informationen eine Störung der Sprachverarbeitung entstehen. Sprachentwicklung hängt auch von funktionierenden Stimmstrukturen ( Mund- u. Zungenmuskulatur ) ab. Eine zu geringe Muskelspannung ( Tonus ) ist häufig eine Phänomen, das den ganzen Körper betrifft und kann im Mundbereich zu einer undeutlichen Lautbildung, vermehrtem Speichelfluss, offenem Mund und einer verstärkten Mundatmung führen.

Gleichgewicht – kognitive Entwicklung

„Verzögerungen der motorischen Entwicklung wurden mit dem Fehlen spontaner vestibulär-stimulierender Verhaltensweisen aufgrund einer Labyrinthschädigung ( Gleichgewichtsorgan ) in Verbindung gebracht ( Tsuzuku & Kaga )“.
„Hyperaktivität und emotionale Störungen wurden mit einem nicht normalen postrotatorischen Nystagmus (unkontrolliebare rhythmische Bewegungen der Augen) assoziiert. Vestibuläre (Gleichgewicht ) Anonmalien gehen auch häufig mit Lernstörungen einher, unter anderem kognitiven -, Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsdefiziten. Für Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit, Verhaltens- und kognitiven Störungen kann eine sensorische Integrationstherapie hilfreich sein, deren Betonung auf der vestibulären Stimulation liegt. ( Carreiro, Osteopathie bei Kindern und Jugendlichen)“.
„Durch eine vestibuläre Stimualtion ließen sich erregte Säuglinge beruhigen ( Cordero et al. 1986)“.
„ Es zeigt sich auch, dass eine langfristige vestibuläre Therapie die visuelle Aufmerksamkeit bei Säuglingen verbessert und die motorische Entwicklung anregte ( Clark et al. )“.

Die Integration von sensorischen Informationen beeinflusst die individuelle Wahrnehmung der Welt und die eigene Interaktionsfähigkeit. Weitere Informationen zur Sensorischen Integration finden Sie in meinem Text „Sensorische Integration und SI-Therapie“.

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